Warum Frauen oft anders behandelt werden

Der kleine Unterschied zwischen Frauen und Männern macht sich auch beim Thema Krankheit bemerkbar. Die Realität wird dem nicht gerecht: Frauen sind bei der medizinischen Versorgung in Deutschland benachteiligt, behauptet der Presseservice Gesundheit psg, weil in Praxen und Kliniken dieser spezielle Blick bisher fehlt. Die Forderung der Politik: Der Gender Mainstreaming-Ansatz, also eine geschlechtsspezifische Sichtweise, muss in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung etabliert werden. Die Gynäkologin Prof. Dr. med. Martina Dören forscht am Klinischen Forschungszentrum der Freien Universität Berlin zum Thema Frauengesundheit. Der psg sprach mit ihr über die Ursachen, Folgen und Perspektiven.

psg: Es ist inzwischen eine politisch und wissenschaftlich anerkannte Forderung, dass Krankheiten in Ursache, Ausprägung und Symptomatik geschlechtsspezifisch betrachtet und beurteilt werden sollten. Erwiesen scheint auch, dass Frauen und Männer unterschiedlich mit Krankheiten umgehen. Worin liegen die Unterschiede?

Dr. Martina Dören: Die Gründe für diese Unterschiede liegen auch in der Erziehung und Sozialisation, also in Faktoren, die über den rein biologischen Unterschied zwischen Frauen und Männern hinausgehen. Der Umgang mit Krankheiten wird zum Beispiel nicht nur beeinflusst von der Symptomatik einer Krankheit, von Körperfunktionen oder vom Hormonhaushalt, sondern ist auch abhängig von der Wertigkeit, die Frauen und Männer Gesundheit zuordnen. Männer gehen wesentlich seltener zum Arzt, finden das nicht so wichtig, sondern ignorieren gesundheitliche Probleme häufig so lange, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Frauen gehen auch zum Arzt, damit sie erst gar nicht krank werden. Viel öfter als Männer nehmen sie zum Beispiel Termine zur Vorsorge wahr.

psg: Der Ausschuss für Gesundheit im Deutschen Bundestag vergangenes Jahr in seinem Bericht festgestellt, dass geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Forschung, in der Prävention und bei der Gesundheitsversorgung nicht ausreichend berücksichtigt werden. Welche Folgen hat das für Frauen?

Dr. Martina Dören: Frauen werden bei Krankheit oft schlechter versorgt als Männer. Das passiert aber nicht, weil sich niemand um sie kümmern will, sondern weil Krankheiten bei Frauen häufig nicht als solche erkannt werden oder eine unzutreffende Erkrankung diagnostiziert wird. Neuere Studien aus den USA zeigen dieses Problem am Beispiel Herzerkrankungen. Die Sterblichkeit gerade bei jüngeren Frauen unterhalb des 50. Lebensjahres ist wesentlich höher als bei Männern der vergleichbaren Altersgruppe. Bei Frauen, die Herzbeschwerden angeben, kann es vorkommen, dass Ärztinnen und Ärzte Beschwerden im Oberbauch diagnostizieren, statt eine Herzerkrankung zu erkennen. Betrachtet man die Zahlen des Statistischen Jahrbuchs für die Bundesrepublik, ist das Risiko, dass Frauen an einer Herzerkrankung sterben wesentlich höher als bei Brustkrebs. Bei Männern erkennen Mediziner Herzerkrankungen viel schneller, denn der typische Patient bei Herzinfarkt ist ein Mann. Bei Osteoporose dagegen ist die Diagnostik für Männer eher schlechter. Dasselbe gilt für Depressionen: Bei Männern geht man eher von körperlichen Erkrankungen aus und denkt erst spät daran, dass auch ihre Beschwerden von einer psychischen Erkrankung kommen könnten. Immer noch existieren Vorurteile, die dazu führen, dass Krankheiten verkannt werden: Herzinfarkt ist eine typische Männer-, Osteoporose eine typische Frauenkrankheit. Von einer anderen Betrachtungsweise könnten beide Geschlechter profitieren.

psg: Was glauben Sie als Medizinerin, wie kann der Blick der Ärztinnen und Ärzte für dieses Problem geschärft werden?

Dr. Martina Dören: Wenn ich an mein Medizinstudium in den 70er und 80er Jahren zurückdenke – ich habe nicht gelernt, dass es einen Unterschied zwischen der Gesundheit von Frauen und Männern gibt. Der Patient in der Schulmedizin war ein Neutrum. Das ändert sich hoffentlich. Diese Gedanken müssen sich in den Köpfen erst festsetzen. Natürlich hat sich die Ausbildung in den vergangenen Jahren bereits verändert und es gibt Ärztinnen und Ärzte, die sich darum bemühen, ihren Blick auf die Patientin oder den Patienten zu ändern. Die meisten Studien zu diesem Thema kommen aus den USA und es dauert einige Zeit, bis die Ergebnisse hier bekannt werden. Aber auch in Deutschland gibt es immer mehr Symposien, zum Beispiel zur Osteoporose des Mannes oder Herzerkrankungen bei Frauen und auch Weiterbildungsangebote über psychiatrische Erkrankungen, die den Aspekt Geschlecht einbeziehen.

psg: Was muss passieren, damit die Medizin Frauen besser berücksichtigt und sie bei der Gesundheitsversorgung nicht länger benachteiligt?

Dr. Martina Dören: Die Universitäten müssen bei ihren Forschungen Frauen und Männern gerecht werden. Stichwort Arzneimittelforschung: Wir brauchen dringend Daten, die beiden Geschlechtern nützen. Die Wirkung von Fettsenkern wurde bis in die jüngste Vergangenheit zum Beispiel fast ausschließlich bei Männern untersucht, verschrieben werden diese Mittel aber auch Frauen. In den USA gibt es bereits Bluthochdruckmittel nur für den schwarzen Teil der Bevölkerung. Dort berücksichtigen die Wissenschaftler nicht nur geschlechtsspezifische, sondern bereits ethnische Besonderheiten bei der Arzneimittelforschung. So weit sind wir noch lange nicht. Das Bundesinstitut für Arzneimittel, das für die Zulassung der Medikamentein Deutschland zuständig ist, könnte beispielsweise darauf hinwirken, dass pharmazeutische Unternehmen stets Ergebnisse von Untersuchungen auf etwaige geschlechtsspezifisch unterschiedliche Wirkungen und auch Nebenwirkungen von Arzneimitteln darstellen müssten. Wir brauchen wissenschaftliche Studien und später daraus resultierend entsprechende Leitlinien, die all diese Sachverhalte angemessen berücksichtigen. Was die Gesundheitsversorgung angeht, da müssen Studierende, Ärztinnen und Ärzte, Kranken- und Altenpflegepersonal besser geschult werden. Sie müssen lernen, dass es Unterschiede in der Behandlung von Patientinnen und Patienten gibt. Zu den Merkmalen, die für die Diagnostik und Behandlung wichtig sind, gehören eben nicht nur Größe, Gewicht und Blutdruck, sondern auch die Wahrnehmung des Geschlechts.

Pressemitteilung des AOK-Bundesverbandes vom 21.05.2002

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