Wie können Frauen erfolgreich sein?

Die Zeiten, in denen Frauen sich ausschließlich um Heim, Herd und das Wohl ihres Ehegatten kümmern durften, sind längst vorbei. Die meisten Frauen in Deutschland können sich zwischen Beruf und Familie entscheiden oder beides wählen. Das heißt allerdings nicht, dass sich die individuellen Vorstellungen immer leicht in die Praxis umsetzen lassen: Auch heute noch ist es für Frauen erheblich schwieriger als für Männer, Karriere zu machen. Der psg sprach über dieses Thema mit Karin Schreiner-Kürten, Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin beim AOK-Bundesverband.

psg: Frauen im Berufsleben sind heute keine Seltenheit mehr, Frauen in Führungspositionen dagegen schon. Woran liegt das?

Karin Schreiner-Kürten: An ihrer Ausbildung liegt es ganz sicher nicht, denn Frauen sind heute sehr gut ausgebildet. Etwa 40 Prozent aller Hochschulabgänger sind weiblich, aber in Führungspositionen sind höchstens zehn Prozent Frauen zu finden. Das hat mehrere Gründe: In Zeiten der hohen Arbeitslosigkeit und des Stellenabbaus ist der Wunsch vieler Frauen nach Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt schwer zu realisieren. Weibliche Konkurrenz – vor allem um hochqualifizierte Positionen – ist nicht erwünscht. Die meisten Frauen, die eine Familie gründen, steigen zeitweise aus dem Erwerbsleben aus und wieder ein, wenn sie es mit der Kindererziehung vereinbaren können. Ein solcher Ausstieg benachteiligt sie bei einem beruflichen Aufstieg. Schon bei der Bewerbung für einen Job spielt das Geschlecht eine Rolle: Viele kleinere Unternehmen wollen oder können es sich nicht leisten, Frauen einzustellen, die längere Zeit ausfallen könnten, weil sie Kinder bekommen. Wenn Frauen Familie und Berufstätigkeit miteinander kombinieren wollen, sind sie in der Regel stärker gefordert als die Männer. Untersuchungen zeigen, dass, wenn beide Partner arbeiten gehen, die Frauen immer noch den größten Teil der Hausarbeit und Familienorganisation erledigen.

psg: Welche gesellschaftlichen Voraussetzungen brauchen wir, damit mehr Frauen Karriere machen können?

Karin Schreiner-Kürten: Trotz des gesetzlich verankerten Anspruchs auf einen Kindergartenplatz gibt es in Deutschland noch keine flächendeckende Versorgung. Zusätzlich brauchen wir mehr qualifizierte Betreuungsmöglichkeiten sowohl für Kleinkinder, als auch für Grundschüler. Dringend erforderlich sind mehr Teilzeitarbeitsmodelle – auch für Führungspositionen. Die sollten für Männer und Frauen geschaffen werden und sie betreffen nicht allein die Arbeitsorganisation. Das bedeutet: Auch das Image der Manager und Führungskräfte muss sich ändern, damit sich gesamtgesellschaftlich etwas ändert. Das Bild des typischen Managers sieht so aus: Er beschäftigt sich mit seiner Arbeit und tut etwas für seine Fitness – Engagement für seine Familie ist nicht gefragt.

psg: Welche individuellen Fähigkeiten sind nötig, um erfolgreich im Beruf zu sein?

Karin Schreiner-Kürten: Das unterscheidet sich bei Frauen und Männern kaum. Ganz wichtig ist zunächst einmal, dass eine zukunftsträchtige Ausbildung gewählt wird und dass jemand bereit ist, sich ständig weiterzubilden. Gut ist eine Perspektive auf längere Zeit, bei der konkrete Zwischenziele feststehen. Wer Erfolg haben will, sollte außerdem Eigeninitiative entwickeln, selbstbewusst und zu einem gewissen Risiko bereit sein. Auch auf Kooperationsbereitschaft und Kommunikationsfähigkeit kommt es an, darüber hinaus sollte man gut organisieren können. Und: Wer erfolgreich sein will, sollte vor Macht keine Angst haben. Der klassische Führungskräftemann hat noch etwas ganz Entscheidendes: ein soziales Stützsystem. Also zum Beispiel eine Frau, die den Haushalt führt, ihn bei gesellschaftlichen Anlässen begleitet und dafür sorgt, dass die Kinder in dieser Zeit gut betreut sind. Frauen, die Erfolg haben wollen, müssen sich ebenfalls ein solches System schaffen. Sie brauchen emotionale Unterstützung und konkrete Hilfe von ihrem Partner, Freundinnen, Verwandten und Nachbarn.

psg: Sind Männer erfolgreicher als Frauen?

Karin Schreiner-Kürten: Wie soll man das messen oder bewerten? Erfolg heißt ja nicht nur beruflicher Erfolg, also Karriere, sondern ist sehr individuell. Erfolgreich ist wahrscheinlich eher der Mann oder die Frau, deren Leben den eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen entspricht. Insofern ist eine klare Zieldefinition für den persönlichen Lebensweg eine wichtige Voraussetzung für Erfolg. In der Bewertung anderer täuscht man sich leicht: Der gut verdienende Manager hat vielleicht schnell Karriere gemacht, aber ist er deswegen zufrieden? Möglicherweise hat er für seinen Erfolg einen hohen Preis bezahlt, hat zwei Herzinfarkte hinter sich oder kann kaum noch schlafen. In Wirklichkeit ist er vielleicht nicht zu beneiden, wenn er zu keiner normalen privaten Beziehung fähig ist, seine Familie so gut wie gar nicht mehr sieht, kaum Freizeit hat und in seinem Urlaub mit sich und seiner Zeit schon lange nichts mehr anzufangen weiß.

psg: Welche Funktion haben Vorbilder, wenn es um Erfolg und Karriere geht?

Karin Schreiner-Kürten: Vorbilder sind wichtig. Sie geben uns Orientierung für den Einstieg in neue Situationen und Verhaltensweisen. Männer finden solche Vorbilder viel leichter als Frauen. Was uns Frauen fehlt, sind Modelle für beruflichen Erfolg im Einklang mit Lebenszufriedenheit, in denen auch die Kinder zu ihrem Recht kommen. Teilzeitarbeit und berufliche Karriere müssen besser vereinbar sein. Diese Vorbilder sollten sich als Lobbyistinnen für den gesellschaftlichen Fortschritt stark machen und im Rahmen groß angelegter Kampagnen das Bewusstsein der anderen wecken.

Pressemitteilung des AOK-Bundesverbandes vom 27.03.2002

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